Habt ihr eigentlich eine Ahnung, was ihr mir antut, wenn ihr so mir nichts, dir nichts aus der Kirche austretet und dann auch noch den Nerv habt, zu sterben?!
Nein, habt ihr nicht, denn sonst würdet ihr euch das sicher nochmal überlegen. Das mit dem Kirchenaustritt meine ich.
Mir verursacht es immer eine Menge seelischen Stresss, wenn Angehörige von ausgetretenen Verstorbenen bei mir auf der Matte stehen und eine kirchliche Trauerfeier wollen. Da stecke ich nämlich schon gleich in der Klemme, weil ich einerseits gerne die Bedürfnisse der trauernden Hinterbliebenen berücksichtigen möchte, die einen Abschied brauchen, und andererseits aber auch den Willen der verstorbenen Person nicht über Bord schmeißen will, die ja nunmal ausgetreten ist, eine kirchliche Trauerfeier vielleicht wirklich nicht gewollt hätte und sich nun ja nicht mehr wehren kann.
Solche Verstorbenen gibt es wirklich. Nicht alle treten wegen des Geldes aus sondern durchaus auch aus Glaubensgründen, bzw. aus Gründen des nicht mehr vorhandene Glaubens. Ich habe tatsächlich schon erlebt, dass mir Angehörige sagten, eine kirchliche Trauerfeier sei nicht im Sinne des Verstorbenen. Er hätte das nicht gewollt. Das ist dann relativ einfach zu regeln: In diesem Fall stellen wir u.U. gegen Gebühr unser Gemeindehaus für eine privat organisierte und durchgeführte Trauerfeier zur Verfügung und gut. Ich bin raus aus der Nummer und die Kirchengemeinde ist nur mit ihren Räumlichkeiten drin in der Nummer.
Meistens bin ich aber drin in der Nummer, weil auch meine Präsenz samt der dazugehörigen kirchlichen Abschiedszeremonie gewünscht wird.
Damit stecke ich dann in der Mega-Klemme fest, weil ich so vielen Bedürfnissen gerecht werden möchte.
Die zu entrichtende Gebühr für die Nutzung der Kirche ist da das kleinste Problem, wobei auch das durchaus schon zum großen Problem geworden ist. Oder gemacht wurde. Ich selbst habe kein Problem damit, denn ich finde es nur fair denen gegenüber, die uns schon über lange Jahre finanziell durch ihre Kirchensteuer unterstützen und dafür sorgen, dass die Kirche überhaupt zur Verfügung steht. Mit Licht und Heizung und Gesangbüchern und Menschen, die diese Gesangbücher auch verteilen, und so weiter. Ich glaube, ihr versteht, worauf ich hinaus will.
Meistens verursacht die Gebühr allerdings keine Schwierigkeiten. Ich höre ganz oft: „Kein Problem. Das ist ja selbstverständlich.“
Das nächste Problem für mich: Oft sind die Angehörigen selber noch in der Kirche und ihnen ist ein Abschied in kirchlichem Rahmen wichtig. Sie suchen Trost gerade in der christlichen Botschaft und in den kirchlichen Ritualen. Manchmal komme ich sogar zu dem Ergebnis, das der oder die zu betrauernde eine kirchliche Trauerfeier eigentlich selber ganz gut gefunden hätte. Auch das noch! Denn nun habe ich so gut wie gar keine Argumente mehr, die kirchliche Trauerfeier sein zu lassen. Außer dem unterschrieben Austrittsformular. Ich könnte mir jetzt einreden, die Unterschrift unter besagtem Formular sei sowieso gefälscht, und einfach loslegen mit meiner Trauerfeier. Aber wer fälscht denn schon eine Unterschrift unter einem Kirchenaustrittsformular? Also muss ich davon ausgehen, dass die echt ist. Was Konsequenzen hat: Ich darf zwar die Trauerfeier machen, wenn ich denn davon ausgehen kann, dass das auch im Sinne der verstorbenen Person wäre, ABER:
Da macht mir dann unsere Kirche das Leben schwer. Zum Beispiel damit, dass bei einer solchen Trauerfeier weder Kerzen angezündet noch Glocken geläutet werden. Wenn das der Fall ist, dann fühle ich mich immer ganz fremd in meiner eigenen Kirche. Ich komme mir vor, als wäre ich nicht Pastorin sondern nur zu Besuch und ohne Plan, wie hier die Regeln sind. (Die Kerzen mache ich genau deshalb übrigens immer an: Damit ich mich in meiner eigenen Kirche zuhause fühlen kann. So!)
Die Botschaft, dass Trauerfeiern für Ausgetretene im Grunde mein Privatvergnügen sind, die ich in meiner Freizeit machen kann / muss, ist da ebenfalls nicht besonders hilfreich. (Als ob ich Freizeit hätte!) Es ist tatsächlich so: Trauerfeiern und nur in Ausnahmefällen erlaubte Bestattungen für Ausgetretene werden nicht in die Kirchenbücher eingetragen, sind keine Amtshandlungen und haben so im Grunde gar nicht stattgefunden. Mich nervt das kolossal! Ich investiere hier schließlich genauso viel Zeit, Energie und seelsorgerlichen Einsatz wie bei jeder kirchenbuchgeführten Trauerfeier auch.
An dieser Stelle kommt wieder die nervtötende Stimme des Zweifels zum Zuge, die mir ins Hirn blabbert: Bist du sicher, dass die verstorbene Person denn auch wirklich im Kirchenbuch auftauchen wollen würde? Vielleicht war der Austritt ja ein ganz bewusstes Distanzieren von der Kirche und vom christlichen Glauben. Denk dran: Er / sie kann sich nicht mehr wehren!!!
Wie ihr seht, trage ich jedes Mal die heftigsten Gewissenskonflikte aus, wenn ich gebeten werde, eine Trauerfeier und ggf. auch Bestattung für eine ausgetretene und nicht mehr kirchenbuchgeführte Person zu machen.
Versteht mich jetzt nicht falsch: Das ist hier kein armseliger Versuch, die Leute vom Kirchenaustritt abzuhalten oder zum Wiedereintritt zu bewegen. (Obwohl, ..., ach nein, lassen wir das.)
Aber ihr sollt schon wissen, was für einen Stress es zumindest der Helgoländer Pastorin verursacht, wenn ihr austretet und diese euch dann irgendwann betrauerfeiern und evtl. auch bestatten soll. Also entweder ihr regelt das alles genauestens schriftlich in eurem letzten Willen, oder - was ich ja noch viel besser finden würde: Bleibt doch einfach drin in der Kirche. Ich werde mir auch echt Mühe geben mit eurer Trauerrede. Versprochen!
Die VELKD hat dazu schon 2003 folgende Leitlinien beschlossen:
AntwortenLöschen(5) Die kirchliche Bestattung von Verstorbenen, die keiner christlichen
Kirche angehörten, kann in Ausnahmefällen geschehen,
wenn
• die evangelischen Angehörigen den Wunsch nach einer
kirchlichen Bestattung äußern und wichtige seelsorgerliche
Gründe dafür sprechen
• dem nicht der zu Lebzeiten geäußerte Wunsch der Verstorbenen
entgegensteht
• das Verhältnis der Verstorbenen zur Kirche und der Gemeinde
so war, dass eine kirchliche Bestattung zu verantworten
ist
• es möglich ist, während der Trauerfeier aufrichtig gegenüber
den Verstorbenen und ihrem Verhältnis zur Kirche
zu sein
• die Entscheidung vor der Gemeinde verantwortet werden
kann.
Bei der Entscheidungsfindung berät sich die Pfarrerin oder der
Pfarrer mit Mitgliedern des Kirchenvorstandes.
Verstorbene, die keiner christlichen Kirche angehörten,
sollen in einer Form bestattet werden, die die Situation angemessen
berücksichtigt. Dabei muss es keine Einschränkungen
in der äußeren Form (Amtstracht, Glocken) geben. Gliedkirchliche
Regelungen bleiben davon unberührt.
Ich lese da nichts von "keine Kerzen, keine Glocken, keine Eintragung" oder "Privatvergnügen". Im Gegenteil, es ist eine kirchliche Bestattung, die in Ausnahmefällen unter den beschriebenen Umständen (die du ja auch nennst) "geschehen kann".
Zugegeben, die Ausnahmen werden mit der Zeit mehr, aber vielleicht braucht der Kirchenvorstand mal ein Kirchenrechts-Update?
Mit kollegialem Gruß
Andreas aus Erbach
PS: http://www.velkd.de/publikationen/download.php?da4fb5c6e93e74d3df8527599fa62642 - leider nur als pdf online.
„Keine Kerzen und keine Glocken“ sind individuelle Entscheidungen der Gemeinden. Bei uns wurde das irgendwann mal vom Kirchenvorstand beschlossen. Dass es mein Privatvergnügen sei, ist eine Aussage von dienstvorgesetzter Stelle. Und dass Trauerfeiern keine Amtshandlungen sind, ergibt sich aus dem Kirchenrecht der Nordkirche, denn grundsätzlich dürfen Ausgetretene nicht bestattet werden. Es darf lediglich ein Gottesdienst zum Trost für die Hinterbliebenen stattfinden. Und ja, es kann eine Eintragung im Bestattungsregister geben aber ohne Nummer, was im Prinzip bedeutet: Hat nicht stattgefunden. Auszug aus dem Nordkirchenrecht:
LöschenBegehren die Angehörigen eines Ausgetretenen eine kirchliche Beerdigung, so soll der zuständige Pastor in einem seelsorgerlichen Gespräch ihnen den Sinn dieser Amtshandlung deutlich machen.
Der Pastor kann ihnen einen Gottesdienst halten, damit sie nicht auf den Trost des Evangeliums verzichten müssen. Bei der Gestaltung dieses Gottesdienstes achtet er darauf, dass der Wunsch des Verstorbenen, nicht der Kirche angehören zu wollen, respektiert wird; auf die Aussegnung und Handlung am Grabe wird verzichtet. 4 Solche Gottesdienste werden ohne Nummer im Beerdigungsregister eingetragen.
Ausführlicher zu finden unter: https://www.kirchenrecht-nordkirche.de
Kollegiale und herzliche Grüße zurück!