Obwohl wir das Thema im Vikariat schon ziemlich ausgereizt hatten, habe ich immer noch keine endgültige Entscheidung getroffen, ob ich den Gottesdienst nun lieber mit oder ohne Regieanweisungen machen soll.
Also eigentlich ist es mir ja lieber, keine Hinweise darauf zu liefern, was als nächstes kommt, wann die Gemeinde aufstehen soll, was wann und wo gesungen wird, und so weiter. Ich lasse so einen Gottesdienst am liebsten einfach laufen. Regieanweisungen finde ich persönlich sehr störend. Ich würde am liebsten einfach machen, und darauf vertrauen, dass sich die Gottesdienstbesucher schon irgendwie durchkämpfen, wenn sie mit Ablauf und liturgischen Stücken nicht vertraut sind. Aber ich mag es eigentlich nicht, wenn sich irgendjemand irgendwo irgendwie durchkämpfen muss. Ich selber will mich auch nirgends durchkämpfen müssen. Schon gar nicht im Gottesdienst. Da will ich mich fallenlassen können. Außerdem stört es noch viel mehr, wenn der schöne Ablauf ins Stocken gerät, weil die Gottesdienstbesucher nicht wissen, was sie machen sollen. So wie gestern.
Ich hatte für den Gedenkgottesdienst extra Ablaufblätter gedruckt, damit ich KEINE Regieanweisungen geben muss. Trotzdem ging das mit dem Friedensgruß schief, weil offensichtlich viele von uns Evangelen einfach nicht mit dem Friedensgruß vertraut sind.
Ich: Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch!
Gemeinde: (Schweigen)
Ich: "Und mit deinem Geiste" wäre jetzt eure Antwort gewesen.
Wie gesagt: Es stand im Ablauf. Also da stand nicht einfach nur: "Friedensgruß"! So blöd bin ich auch nicht. Da stand:
P: Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch!
G: Und mit deinem Geiste. (fettgedruckt!!!)
Okay, man könnte dagegenhalten, dass keiner wissen kann, wer denn mit "P" und wer mit "G" gemeint ist. Sollte ich das nächste Mal vielleicht dazuschreiben: P = Pastorin, G = Gemeinde
Reingucken in den Ablauf müssen die Gottesdienstbesucher natürlich schon selber. Das kann ich ihnen nicht abnehmen. Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass ich mir gedruckte Abläufe im Grunde schenken kann, weil da sowieso niemand reinguckt. Selbst wenn ich zu Beginn des Gottesdienstes darauf hinweise, dass der Gottesdienstablauf im Ablaufzettel steht, guckt da niemand rein. (Deshalb muss im Ablauf auch nicht stehen, wer P und wer G ist.) Und wenn ich zu Beginn des Sonntagsgottesdienstes darauf hinweise, dass der Ablauf vorne im Gesangbuch eingeklebt ist, guckt da auch niemand rein. Seufz!
Nachdem das gestern also mit dem Friedensgruß in die Hose ging, habe ich heute nicht nur erwähnt, dass der Gottesdienstablauf im Gesangbuch eingeklebt ist sondern mich ebenfalls darauf verlegt, für alles Regieanweisungen zu erteilen. Besonders weil wir heute keinen Musiker da hatten, der zum Beispiel nach der Lesung einfach mit der Orgel losdonnert und so die Gemeinde wissen lässt: Jetzt wird das Halleluja gesungen! Außerdem haben wir heute Abendmahl im Gottesdienst gefeiert, was bedeutet, dass auf die Anwesenden noch mehr liturgische Herausforderungen zukamen als sonst schon.
Das Wort "Liturgie" kommt übrigens aus dem Griechischen und heißt übersetzt: "öffentlicher Dienst" oder "Dienst des Volkes". Die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland - unser "Dachverband") erklärt das so: "Das griechische Wort Liturgie („leiturgia“) ist zusammengesetzt aus „laos“ = Volk und „ergon“ = Werk. Es bedeutet Dienstleistung, den Dienst der Verehrung, den wir Gott schulden. Liturgie beschreibt den Ablauf des Gottesdienstes, insbesondere den Teil, der zwischen dem Pastor/der Pastorin und der Gemeinde mit Wechselgesängen, Lesungen und Gebeten verläuft."
Durch das Abendmahl hatten wir heute also noch mehr Wechselgesänge. Allerdings wurde beim Gesang nicht wirklich gewechselt, weil ich die Antworten der Gemeinde selber mitgesungen habe, um sie tatkräftig zu unterstützen. Ohne musikalische Begleitung ist Liturgie schließlich nicht so einfach. Und ich kann ja auch nett und hilfsbereit sein. Wenn ich will.
Ich glaube, in diesem Gottesdienst heute hat auch niemand wirklich kämpfen müssen. Weil: gaaaaaaaaaanz viele Regieanweisungen! Dafür war ich am Ende schwer genervt, weil das alles nicht flüssig lief. Wegen der Regieanweisungen. Es ist auch blöd, wenn das Abendmahlsgebet mit den Worten endet: ... vereinen wir unsere Stimmen zu deinem Lob und singen das Sanctus, also das "Dreimal Heilig", das unter der Nummer sowieso im Gesangbuch zu finden ist, und das wir dreimal hintereinander weg singen. Nach dem Gebet einfach lossingen ist leider nicht drin, wenn ich nicht die Einzige sein will, die singt.
Auch das mit dem Aufstehen an bestimmten Stellen funktioniert nicht immer so gut. Ich dachte, ich hätte da einen ganz guten Trick entwickelt, indem ich der Gemeinde einfach durch eine Geste mit der Hand signalisiere, dass sie aufstehen soll. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Bisweilen endet das Ganze in exzessivem Gewinke meinerseits und die Gemeinde weiß trotzdem nicht, was von ihr erwartet wird. Wenigstens hat bis jetzt noch niemand zurückgewunken. Es gibt also Hoffnung.
Meistens läuft es aber doch wieder auf eine Regieanweisung raus: Wir beten das Vaterunser und ich bitte die Gemeinde, dazu aufzustehen. Noch besser ist das Glaubensbekenntnis, denn da muss ich die Gemeinde nicht nur wissen lassen, welches Glaubensbekenntnis wir sprechen und wo das im Gesangbuch zu finden ist, sondern muss die Information auch noch unter die Leute gebracht haben, bevor sich alle wieder hingesetzt haben. Vor dem Glaubensbekenntnis wird nämlich das Evangelium gelesen und dazu steht die Gemeinde auf. Jedenfalls hier bei uns auf Helgoland.
Tja, und da liegt, glaube ich, der Hase im Pfeffer. Gottesdienstabläufe sind von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Wir hier auf Helgoland haben unseren ganz eigenen Gottesdienstablauf. Und weil der so eigen ist, ist er ja auch vorne im Gesangbuch eingeklebt. Die vielen Besucher unserer Insel sind von zu Hause oft andere Abläufe gewohnt und deshalb mit dem überfordert, was sie hier (vorne im Gesangbuch!) vorfinden. Außerdem ist es heute ja auch nicht mehr so, dass gewisse liturgische Stücke schon mit der Muttermilch aufgesogen werden - sprich: dass die Leute sie einfach drauf haben. (Manche Gottesdienstbesucher werden auch schonmal ein bisschen vorgeführt, wenn unsere Konfis zum Glaubensbekenntnis das Gesangbuch ganz demonstrativ zuklappen, während andere hektisch nach dem Text blättern. Ha!)
Und wenn ich keinen überfordern will, dann muss ich eben Regieanweisungen erteilen.
Tja, und ich bin heute noch genauso ratlos wie damals im Vikariat. Regieanweisungen verhindern zwar, dass sich irgendjemand durch irgendwas durchkämpfen muss. Sie zerpflücken aber auch eine wunderschön gestaltete Liturgie in ihre Einzelteile. Ich will Gottesdienst als Gesamtkunstwerk und die Gottesdienstbesucher wollen sich im Gottesdienst wohlfühlen. Wie bringen wir das nur zusammen?
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