Keine Ahnung, in was für einer Phase ich mich jetzt gerade wieder befinde, aber irgendwie bewege ich mich in der Zeit rückwärts. Ich ziehe es doch tatsächlich vor, mit der Hand zu schreiben. Stellt euch das mal vor! Im Zeitalter von Handy, Skype und Email sitze ich wirklich da und schreibe mit der Hand. Postkarten. Briefe auch.
Ich komme darauf, weil heute Mittwoch ist. Mittwochs schreibe ich immer eine Postkarte an meine Eltern. Mit einem irischen Segenswunsch drauf. Angefangen hatte das Ganze mit der Beschwerde meiner Eltern (die auf dem Festland leben, also gaaaaaaanz weit weg!), dass ich mich so selten melde. Geplagt von einem furchtbar schelchten Gewissen und überfallen von einem heftigen Kaufrausch habe ich mir schon im letzten Jahr einen Wochenkalender in Postkartenformat mit irischen Segenswünschen zugelegt. Mit der Absicht, im Neuen Jahr jede Woche eine Postkarte an meine Eltern zu schreiben. Gute Vorsätze für's Neue Jahr sind ja immer gut!
Ich fand die handgeschriebene Karte irgendwie besser, als die sporadischen Emails. Und da es Postkarten aus einem Wochenkalender sind, bin ich gezwungen, auch jede Woche zu schreiben. (Okay, ich hätte auch warten können bis Ende Dezember und dann alle 52 Karten in einem Päckchen rüberschicken. Aber das war ja nicht Sinn der Übung.) Außerdem ist es persönlicher, als darauf zu vertrauen, dass meine Eltern regelmäßig meinen Blog lesen, in dem sie ja auch ab und zu vorkommen. Und so ging es mit Beginn des neuen Jahres los: jede Woche eine handgeschriebene Postkarte nach drüben.
Das Schlimme ist: Die haben auch noch zurückgeschrieben! Per Hand! Auf echtem Briefpapier! Und ein echtes Foto beigelegt! Nicht einfach eine digitale Aufnahme mal eben durchs Netz gejagt, nein. Und ich hab' mich auch noch riesig gefreut. Das macht voll Spaß!
Da interessiert es mich auch gerade gar nicht, dass keiner meine Sauklaue lesen kann. Ich selber eingeschlossen. Ich bin heute erst von meinen Konfirmanden darauf angesprochen worden, warum ich immer einen Strich übers U mache. Weil ich die Ns immer umdrehe. Ohne Strich über'm U könnte man die beiden nicht unterscheiden. Manchmal vergesse ich den Strich überm U auch und dann weiß ich selber nicht mehr, was ich da geschrieben habe.
Fragen konnten die Kids mich das nur, weil ich den Ablauf der Konfirmandenstunde per Hand aufgeschrieben hatte. Seht ihr: Da ist es schon wieder, dieses Handgeschriebene! Ich habe mich heute auch dabei ertappt, dass ich meine To Do Liste für den heutigen Tag per Hand auf ein Blatt Papier (OHNE Erinnerungsfunktion!) geschrieben habe, anstatt sie wie sonst in mein Handy (MIT Erinnerungsfunktion!) einzutippen. So langsam wird mir mulmig. Wenn ich auch noch anfange, meine Predigten per Hand aufzuschreiben, dann bin ich echten Schwierigkeiten. Ich kann ja, wie schon erwähnt, meine eigene Schrift kaum lesen.
Aber damit nicht genug. Ich ertappe mich ebenfalls dabei, dass ich das Geschirr mal eben mit der Hand abwasche, anstatt es in den Geschirrspüler zu stecken. Omas altes Kaffeegeschirr habe ich auch wieder rausgekramt. Seit einiger Zeit bin ich schon dabei, den Keller nach altem Kram zu durchforsten, der sich noch irgendwie verwenden lässt. Wozu einen Hängetopf für den Balkon kaufen, wenn da noch der alte Badewannenhalter rumschwirrt, der sich genauso gut als Pflanzkübel eignet?! Neue Lampe kaufen? Nö! Der alte Lampenschirm vom Sperrmüll lässt sich bestimmt mit ein paar Stoffresten und einem Stück Treibholz in eine schöne Lampe verwandeln. Auch was meine Auswahl an Filmen betrifft, bin ich gerade ziemlich nostalgisch veranlagt. Immer wieder bekomme ich Anfälle von "Ich muss jetzt unbedingt einen Fred Astaire Film sehen". Ich habe mir außerdem gerade ein paar DVDs zugelegt mit Filmen und Serien, die ich vor ziemlich langer Zeit mal geguckt habe. Ich mag es kaum zugeben, aber darunter befand sich tatsächlich "Sommer in Lesmona". Mit Katja Riemann in ihrer ersten Fernsehrolle! So lange ist das schon her! Immerhin noch nicht ganz das Fred Astaire Zeitalter. Jetzt fehlt nur noch, dass ich morgens eine halbe Stunde früher aufstehe, um meinen Kaffee per Hand aufzugießen anstatt die Kaffeemaschine zu benutzen. ("Schwallbrühen"nennt man das, glaube ich.) Aber soweit ist es zum Gück noch nicht gekommen.
Ich frage mich gerade, was mich da erwischt hat:
Der Retro-Virus?
Die Steinzeit- Infektion?
Das Back-to-the-Roots-Fieber?
Die Ich-lebe-im-21. Jahrhundert-Intolleranz?
Die Moderne-Technik-Allergie?
Keine Ahnung, was ich da gerade ausbrüte.
Aber solange es nicht damit endet, dass ich dauernd von mir gebe "Früher war alles besser" oder "Damals haben wir das aber soundso gemacht", besteht noch Hoffnung, dass ich das Ganze hier einigermaßen unbeschadet überstehe.
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